Flexibilisierung des Vertriebs im Dentalmarkt in Zeiten von Corona
Alle vertrieblichen Aktivitäten im Dentallabor werden seit Monaten vom Coronavirus beeinflusst. Die Bandbreite reicht von der temporären Aussetzung des persönlichen Vertriebs bis hin zur „Weiter so“-Vorgehensweise. Bei allen Unwägbarkeiten in der vorherrschenden Situation sollte eines glasklar sein: Die Gewinnung von neuen Zahnärzten wird nicht nur kurz- und mittelfristig von der Ausbreitung und den Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 gesteuert, sondern der geänderte Umgang miteinander wird grundsätzlich Eingang in die dentalen Vertriebskonzepte der Zukunft finden. U.a. wird ein persönliches Gespräch zwischen Zahnarzt und Laborinhaber zukünftig von Mechanismen dirigiert, die eine simple Rückkehr zum Prä-Corona-Vertrieb ausschließt und deutlich mehr Flexibilität von Vertriebsverantwortlichen und Vertriebsprozessen verlangt. Wie gelingt also Neukundengewinnung unter den neuen Rahmenbedingungen?
Vertrieb vor Corona
Noch zu Jahresbeginn war der Vertrieb im Dentallabor klar geprägt von direkt persönlicher Kundenansprache. Im Regelfall gehört diese unternehmerische Aufgabe in den Verantwortungsbereich des Laborinhabers, der sie entweder selbst ausübt oder von einem Außendienstmitarbeiter ausüben lässt. Eine übliche Trennung der Verantwortlichkeiten ergibt sich aus der Betreuung von Bestandskunden und der Akquise von neuen Kunden. Ersteres ist Chefsache und letzteres kann und wird gerne delegiert, sofern das Labor über entsprechende Ressourcen verfügt. Ausgestattet mit entsprechenden Vertriebsplänen und Zielvereinbarungen für beide Betätigungsfelder ist dann persönlicher Einsatz gefragt. D.h., dass der persönliche Kontakt zwischen Praxis und Labor unumgänglich für vertrieblichen Erfolg in jeder Phase des Vertriebsprozesses ist. Ein Blick auf den Prozess zur Gewinnung neuer Kunden verrät, wieso das so ist.
Persönliche Kontakte zwischen Labor und Praxis
Die Elemente eines klassischen Vertriebsprozesses zur Neukundengewinnung beinhalten den Beziehungsaufbau mit dem Praxisteam, die Analyse der Bedarfe des Behandlers, die Entwicklung und Darstellung der eigenen Leistungen als konkrete Antwort auf die Bedarfe sowie den Abschluss der Akquise. Jede Phase ist geprägt vom persönlichen Austausch mit dem Zahnarzt und/oder seinem Praxisteam. Ein Beziehungsaufbau oder eine Beziehungspflege ohne eine Face-to-Face Verbindung scheint genauso weit entfernt wie der Verzicht auf das direkte Gespräch zur Präsentation der Produkte und Services des Labors. Der gesamte Akquiseprozess fußt merklich auf der direkt persönlichen Kommunikation. Natürlich wird auch das Telefon genutzt, um Teile des Neukundengewinnung mit Leben zu füllen. Das geschieht in der Regel aber ergänzend, z.B. um einen Termin zur Produktpräsentation zu vereinbaren, und ersetzt nicht die Auge-in-Auge Kommunikation. Das liegt vor allem daran, dass der non-verbale Kommunikationskanal, also Gestik, Mimik oder Körpersprache, vollkommen abgeschnitten wird und eine Einzahlung auf das Beziehungskonto ausschließlich über den Sachinhalt und para-verbale Signale wie Sprachmelodie oder Sprachfrequenz übermittelt werden. Telefonakquise ist kommunikativ schwieriger als persönliche Akquise.
Änderungen im Umgang miteinander
In Zeiten von Corona gibt es Zahnarztpraxen, die immer noch gänzlich auf den Besuch von Nicht-Patienten verzichten möchten. Was menschlich nachvollziehbar ist, rüttelt fest an den meisten Vertriebsaktivitäten aktiver Dentallabore. Dass sich dieser Trend im Laufe der kommenden Monate abschwächt, wäre wünschenswert. Die derzeit oft bemühte zweite Corona-Welle trübt die Hoffnung aber wieder ein. Aber alleine der Gedanke an die gesellschaftliche Gepflogenheit des Händeschüttelns lässt erahnen, dass diese Sitte auch in der Post-Corona-Zeit möglicherweise vollkommen ausgedient haben wird. Menschlicher Kontakt, damit auch das Händeschütteln, ist eine Einzahlung auf das Beziehungskonto und wirkt wie ein Beschleuniger im Beziehungsaufbau und wie ein Superkleber in der Beziehungspflege. Natürlich gibt es Workarounds wie die Händedesinfektion nach dem Händeschütteln, aber vermutlich geht die gute Absicht hinter der Geste mit dem Auftragen des Desinfektionsmittels gleich wieder baden. Das Beispiel eines Händedrucks lässt sich z.B. erweitern auf einzuhaltende Sicherheitsabstände im Gespräch zwischen Zahnarzt und Laborinhaber oder das Tragen von Mund-/Nasenschutz im Kontext von technischer Kundenbetreuung. Langfristig wird sich der Umgang miteinander ändern, auch wenn COVID-19 vielleicht gar keine Rolle mehr spielt. Erfolgreiche Neukundengewinnung muss menschliche Reaktionen in der beschriebenen Art antizipieren und flexibel damit umgehen.
Phase 1: Der Beziehungsaufbau
Gerade in der ersten Phase der Neukundengewinnung, dem Herstellen einer Beziehung zum Praxisteam der Wunschpraxis, machen sich die Auswirkungen der Corona-Krise besonders bemerkbar. Ein unangekündigter Erstbesuch in Verbindung mit einem persönlichen Give-Away ist dem Grunde nach ein hervorragender Einstieg in die Akquise, kann aber wegen der geltenden Sicherheitsmaßnahmen und Verhaltensregeln deutlich eingebremst werden. Das Gespräch zwischen Laboraußendienst und der Helferin an der Rezeption ist üblicherweise vertrieblich geprägt von zwischenmenschlichen Gesten, verzichtet nicht auf den Händedruck und hält sich auch nicht an 1,5 Meter Abstand zwischen den handelnden Personen. Heute fangen die Warnungen mit Sicherheitsauflagen bereits an der Tür zur Zahnarztpraxis an. Ein Ignorieren dieser Praxisregeln wäre ganz und gar der falsche Weg, ein Befolgen füllt aber das Beziehungskonto zwischen Labor und Praxis nicht wie üblich. Dennoch ist der Weg des persönlichen Besuchs, insbesondere mit einem zur Situation passenden Give-Away, richtig und unumgänglich. Das Gesicht des Labors ist beim hohen Qualitätsstandard deutscher Labors oftmals das einzige Unterscheidungsmerkmal zum Wettbewerb. Ein offenes Ohr für die gerade geltende Situation in der Zahnarztpraxis ist als „Icebreaker“, in Verbindung mit dem richtigen Give-Away, sicher hilfreich. Im Ergebnis wird das Beziehungskonto vielleicht weniger gefüllt, aber der Akquiseplan fordert auch bei Folgebesuchen immer wieder den Beziehungsaufbau und die Beziehungspflege. Wichtig ist das flexible Befolgen der praxiseigenen Sicherheitsmaßnahmen, auch wenn das mental eine Herausforderung für den Außendienst des Labors ist.
Phase 2: Die Analyse der Bedarfe
Das Ziel eines Erstbesuchs ist die Vereinbarung eines Termins zur Vorstellung des Labors und, als Teil einer dahinter liegenden Agenda, der Analyse der Bedarfe des Zahnarztes. Hier ist wichtig, dass die Rahmenbedingungen für das Gespräch im Vorfeld geklärt werden. Sollte der Zahnarzt zwar grundsätzlich Interesse am Austausch mit dem Labor haben, aber einen persönlichen Termin in der Coronazeit ablehnen, dann ist die eingangs beschriebene Flexibilität im Umgang mit der Situation notwendig. Ein Ausweichen z.B. auf eine Webkonferenz oder Webmeeting schafft eine quasi persönliche Umgebung, wenn die Kameras auf beiden Seiten eingeschaltet werden, und bedient damit die notwendige Flexibilität. Natürlich kann so ein Gespräch auch über das Telefon angeboten werden, allerdings mit den schon genannten Nachteilen. Insgesamt geht es um das Ausschöpfen der Bandbreite an Kontaktmöglichkeiten und nicht um das Beharren auf der Prä-Corona-Vorgehensweise mit dem Risiko einer Terminabsage. Findet ein Gespräch beispielsweise über ein Webmeeting statt, dann ist auch hier der Beziehungsaufbau im Sinne des „Icebreakings“ wichtig, bevor die Analyse der zahntechnischen Bedarfe startet. Die ist mit den technischen Möglichkeiten eines Webmeetings, wie dem Teilen des Bildschirms oder der Nutzung eines elektronischen Whiteboards, ggf. sogar einfacher als im Face-to-Face Austausch. Besagte Bedarfsanalyse ersetzt die leider immer noch übliche Präsentation eigener Leistungen mittels Schaumodellen, Preislisten, Produktflyern oder vergleichbaren Darstellungsformen. Die Bauchladen-Taktik, in denen das komplette Portfolio des Labors zum Besten gegeben wird, passt aber seit vielen Jahren nicht mehr in vertriebliche B2B-Vorgehensweisen. Stattdessen bringt eine Bedarfsanalyse, die sich auf die Antworten des Zahnarztes zur IST-Situation, zu Hintergründen, zu möglichen Handlungsalternativen und dem Willen zur Veränderung stützt, den Fokus genau auf die Themen, die wirklich besprochen werden müssen.
Phase 3: Die Darstellung der eigenen Leistung
Nach deren Herausarbeitung ist eine dedizierte Vorbereitung seitens des Labors notwendig. In der Regel braucht das Zeit und ist nicht Teil der Bedarfsanalyse. Wenn der Bedarf des Zahnarztes z.B. einen metallfreien Klammermodellguss, fertiggestellt in PEEK, umfasst, den er als Live-Arbeit sehen möchte, um sich ein Bild der Mindeststärke der Klammerarme zu machen, dann gehört dieses Nischenthema sicher nicht zur Standardausstattung des Laboraußendienstes und muss vorbereitet werden. Einmal an diesem Punkt angekommen, ist die halbe Miete der vertrieblichen Arbeit schon eingefahren. Der nun folgende Termin stellt die Leistungsfähigkeit des Labors in genau diesem Thema in den Mittelpunkt und lässt alle anderen Themen für den Moment unbeachtet. Die Absprache des Folgetermins erfolgt unter denselben Anforderungen wie im Fall der Bedarfsanalyse. Auch hier braucht das Labor einen flexiblen Umgang mit den Wünschen des Zahnarztes. Die Begutachtung der o.g. Live-Arbeit wird voraussichtlich im persönlichen Gespräch erfolgen, ggf. unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen mit Mundschutz, Handschuhen, Sicherheitsabstand und Desinfektion der Arbeit. Ein Laborrundgang als Ergebnis einer Bedarfsanalyse ist dagegen virtuell und ohne persönlichen Kontakt möglich. Wie gesagt, die eigene Bandbreite und Flexibilität auf Corona-bedingten zwischenmenschlichen Umgang ist von jetzt an gefragt.
Phase 4: Der Abschluss der Akquise
Im idealtypischen Verlauf steht jetzt die vierte Phase des Vertriebsprozesses zur Gewinnung neuer Kunden auf dem Programm. Der Abschluss der Akquise, also der Auftrag für eine erste Arbeit, ist eigentlich reine Formsache, so lange in den drei vorangegangenen Phasen keine Fehler gemacht wurden. Die können in der Fehleinschätzung des Betrags an Vertrauen auf dem Beziehungskonto, in einer fehlerhaften und in der Regel nicht vollständigen Bedarfsanalyse oder einer mangelhaften Nutzenargumentation bei der Präsentation der Leistungsantwort auf den Bedarf liegen. Wenn also kein „Ja“ auf die Frage nach der ersten gemeinsamen Arbeit kommt, dann heißt das für das Labor: Wieder zurück in die ersten drei Phasen des Akquiseprozesses. Das ist ohne Probleme möglich, braucht aber einen entsprechenden Plan, um bei den Folgebesuchen nicht mit leeren Händen vor der Praxis zu stehen.
Ausblick
Insbesondere bei der Vertrauensbildung ist die immer noch schwierige Situation unter dem Einfluss von Corona ein Hemmschuh. Das persönliche Gespräch in der wichtigen ersten Phase findet unter Einschränkungen statt und ist in punkto Vertrauensbildung anders zu bewerten. D.h., dass es ggf. mehrere Besuche im festen Rhythmus geben muss, um die Phase erfolgreich abzuschließen und einen Termin mit dem Behandler zu ergattern. Dessen Ausgestaltung sowie die aller Folgegespräche ist im Zeitalter der Digitalisierung möglicherweise einfacher, zumal der digitale Workflow sowohl in Praxis, als auch Labor längst Einzug gehalten hat und der digitale Vertrieb über Webmeetings, virtuelle Laborrundgänge oder elektronische Newsletter eine logische Folge ist. Das bedeutet, dass der Akquiseprozess in seinen 4 Phasen auch zukünftig beibehalten werden kann, die erste Phase ggf. länger dauert und der Vertrieb des Labors flexibler auf die Ausgestaltung der Kontaktmöglichkeiten reagieren muss. Digitale Hilfsmittel dazu gibt es heute bereits, ebenso wie digitale Vertriebsstrukturen. Das heißt, dass COVID-19 wie ein Brandbeschleuniger zum Umdenken in Richtung digitaler Vertriebsprozesse, in Ergänzung zum persönlichen Vertrieb, fungiert und auch langfristig die Akquise von neuen Kunden begleiten wird.
Dieser Fachartikel wurde im Zahntechnik Magazin in Ausgabe 05/2020 auf den Seiten 252 – 254 veröffentlicht.