Es ist bestimmt nur Zufall, wenn man innerhalb weniger Tage gleich mehrfach über Aussagen stolpert, die dazu auffordern die Säge zu schärfen. Säge schärfen? Simon Sinek erzählt dazu eine Geschichte von zwei Holzfällern, die zur gleichen Zeit ihre Arbeit beginnen und beenden und einer der beiden am Ende des Tages immer mehr Holz schlägt, obwohl er jeden Tag um die Mittagszeit für eine Stunde verschwindet. Eines Tages fragt der Holzfäller, der kontinuierlich durcharbeitet, seinen Kollegen, was er denn in der Mittagszeit macht und warum er trotz der Pause am Ende des Tages mehr Holz schlägt. Die verblüffende Antwort: Er schärft seine Axt. Gut, eine Axt ist keine Säge, aber im übertragenen Sinne bedeutet diese kleine Geschichte, dass die sinnvolle Pause zur Pflege der Arbeitsmittel perfekt investierte Zeit ist. Und das wichtigste Arbeitsmittel sind wir selbst, was Stephen Covey bereits 1989 in seinem Bestseller „7 habits of highly effective people“ mit dem siebten „Weg“ in den Fokus nimmt. Er nennt das „Die Säge schärfen“ und erläutert dort Prinzipien der ausgewogenen Selbst-Erneuerung. Dank YouTube und Zufall bin ich ebenfalls vor ein paar Tagen wieder mal auf seine bedeutsamen Ausführungen zur Erneuerung des Seins gestoßen (gelesen habe ich sein Buch im Jahr 2006). Und warum schreibe ich gerade jetzt darüber? Weil es natürlich kein Zufall ist, sondern mein Bedürfnis nach einer scharfen Säge dieser Tage besonders deutlich wird.
What the f*** is going on
Das Jahr geht zu Ende und lädt mit Wucht zur (Selbst-)Reflexion ein. Das ist bei mir am Jahresende nahezu immer der Fall, schon weil im Januar die Uhren wieder auf Null gestellt werden und damit Zeit und Muße zum Rückblick schlicht dem Alltag des neuen Jahres zum Opfer fallen. Dieses Jahr war in jeder Hinsicht besonders. Das ist die höfliche Umschreibung für einen bunten Wechsel von irre tollen und grandios beschissenen Ereignissen. Beruflich und privat. Etwas weniger Ausschläge nach oben und unten hätten mir ganz gut getan, bräuchten gegebenenfalls aber keine geschärfte Säge, sondern nur ein simples „weiter so“. Na ja. Ohne ins Detail zu gehen, habe ich dem Holzfäller, der keine Zeit hatte, um seine Axt zu schärfen, richtig Konkurrenz gemacht. Am Ende habe ich beispielsweise für jede geschriebene Zeile locker doppelt so lange gebraucht wie üblich, habe mir genau die Aufgaben gesucht, die ich aus dem Effeff kann, und bin vor den Dingen zurückgeschreckt, die Kreativität, out-of-the-box-thinking, Spontanität oder Ähnliches erfordert hätten. Das ist gerade keine Werbung für mich selbst, aber schlicht die Wahrheit. Ich habe im gesamten letzten Jahr „vergessen“ die Säge zu schärfen. Ich habe Schindluder mit meinem Energiehaushalt getrieben, obwohl ich vor mittlerweile über 15 Jahren schon mal unangenehme Erfahrungen mit einem Burn-Out sammeln musste. Mein damals installiertes „Frühwarnsystem“ hat mir im Laufe des Jahres mehrfach signalisiert, dass ich den Bogen nicht überspannen soll. Habe ich (bis jetzt) auch nicht. Gott sei Dank. Aber an mich selbst muss ich jetzt denken. Säge schärfen. Was war das nochmal?
Vier Dimensionen, um die Säge zu schärfen
Das Buch von Covey im Regal gesucht und gefunden. Den siebten Weg aufgeschlagen und nachgelesen. Er spricht von vier Dimensionen des Seins, von der Erneuerung der physischen, spirituellen, mentalen und sozial/emotionalen Dimension. Stimmt. Kann mich dran erinnern. Bei der physischen Dimension bin ich gleich angesprungen. Jacke angezogen und die Post zu Fuß weggebracht. 30 Minuten frische Luft, die unglaublich gut getan haben. Nicht, dass ich das noch nie gemacht habe, aber irgendwie fehlte in diesem Jahr immer die Zeit. Entschluss gefasst. Ich werde jetzt wieder häufiger spazieren gehen. Im letzten Jahr habe ich das fast täglich geschafft. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich haufenweise gute Bücher. Alle in diesem Jahr gekauft und doch nicht gelesen. Eins aus dem Stapel gezogen. Bezeichnenderweise Simon Sinek’s „Start with Why“. Jetzt liegt es erst einmal gut sichtbar neben mir. Ich werde es lesen und berichten. Für mein spirituelles Ich, weil auch das Beten in den letzten Monaten deutlich zu kurz gekommen ist. Und mein mentales Ich. Lesen ist Futter für den Geist. Die sozial/emotionale Dimension ist vermutlich die einzige Dimension, die auch in diesem Jahr nicht zu kurz gekommen ist. Interaktion steht als Dauerbrenner auf meiner Agenda. Deshalb möchte ich an dieser Stelle meiner Familie danken, die immer ein offenes Ohr für mich hat. Und meinen Kunden, die mir seit Jahren weit über den geschäftlichen Kontext hinaus das wunderbare Gefühl geben gebraucht zu werden. Und meinen Mitarbeitern, die mir ganz offen sagen, wenn ich schrecklich aussehe (muss gerade wohl häufiger so sein…). Danke Euch. Von Herzen.
Schärft die Säge!
Vielleicht ist die Vorweihnachtszeit prädestiniert für Selbst-Wahrnehmung, Selbst-Reflexion und Selbst-Steuerung. Vielleicht gibt es mein Frühwarnsystem nicht umsonst, um Raubbau an mir selbst nicht zu weit zu treiben. Vielleicht waren die Hinweise zum Schärfen meiner Säge auch nur Zufall. Vielleicht. Ich erkenne aber gerade wieder sehr deutlich, dass Zeit nehmen und Pause machen angesagt ist. Wahre Produktivität, echte Lebendigkeit, unendliche Kreativität entstehen nicht aus pausenloser Arbeit, sondern aus einem gepflegten und umsorgten Ich. Hatte ich vergessen. Es tut mir leid für mich. Deshalb schalte ich heute das Telefon aus, lese keine Emails mehr und gehe auch nicht mehr ins Büro. Und über die Feiertage arbeite ich an meinen Ritualen, um mich auch im nächsten Jahr nicht zu vergessen.
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern eine reflektierte Weihnachtszeit und einen selbstwahrnehmenden Start ins neue Jahr.
Euer Thorsten Huhn
2 Antworten
Lieber Thorsten,
vielen Dank für deinen Denkanstoß – ich fühle mich (leider) voll angesprochen. Kleiner Lichtblick: Vor zwei Wochen hatte ich die echte Säge in der Hand: Wetter egal, raus in den Wald, Säge benutzt, Baum rein ins Auto (selbstverständlich legal von vertrauter Weihnachtsbaumpflanzung). Baum sofort aufgestellt, umgefallen (also der Baum), als Ingenieur grandios bei Notlösung mit Sonnenschirmständer gescheitert, geflucht. Der Versuch, heimattreu vor Ort einen XXL-Baumständer zu erstehen, scheiterte auch (offenbar endet bei max. 2,70m Höhe des Deutschen Standard); also doch das Web bemüht. Inzwischen steht der Baum, stolze 4m hoch, hell erstrahlend und als Familienaktion bunt beschmückt. Alle glücklich. Weihnachten kann kommen, und hoffentlich auch wieder Besinnlichkeit, Abstand vom täglichen Sägen, Reflektion oder auch mal ganz unreflektierter Genuss von lecker Essen, Wein, Champagner, und, und, und endlosen Abenden ohne Gedanken an …
Wenn du dein Vorhaben konsequent genug umgesetzt hast, liest du diese Zeilen, und es ist bereits 2022. Hoffe, du bist gut angekommen. Alles Liebe, Happy new Year!
Lieber Jens,
mich erinnert Dein Erlebnis daran, dass „Kleinigkeiten“ (der Baumständer) manchmal die besten Absichten (eine glückliche Familie „unter’m“ Weihnachtsbaum) zunichte machen könnenn. Meiner Erfahrung nach häufen sich derlei Ereignisse insbesondere dann, wenn die Luft eh raus ist und die Säge geschärft werden muss. Insofern wünsche ich Dir, dass Du die kommenden Tage dazu nutzen kannst, um Abstand zu gewinnen und aufzutanken. Du siehst, dass ich immer noch „arbeite“, aber seit etlichen Tagen mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit und verändertem Fokus. Eben Säge schärfend.
Alles Liebe und starte selbst-bewusst ins neue Jahr